Gemeinsam sind wir stark

Hallo liebe Kinder,

oh wie schmerzlich ist das denn!

„Was ist passiert?“, fragt ihr jetzt sicherlich. Gemach, gemach! Ich werde es euch ausführlich erzählen und hoffe natürlich auf euer geballtes Mitleid. Wem sonst sollte ich von meinem verletzten Ego berichten, wenn nicht meinen Kindern?!!?

Weil ich meiner Frau eine Freude machen möchte, bepflanzen wir dieses Jahr die Terrasse. So schön wie noch nie! Eure Mutter wird euch Bilder schicken, wenn alles fertig ist. Im Vorfeld hatte sie meine Frage, ob sie sich freut, schon ständig mit der Gegenfrage gekontert: „Und du? Freust du dich auch?“

Heute hat es sich wieder einmal gezeigt, wie anstrengend es sein kann, neben eurer Mutter alt zu werden. Wie schon am Anfang unserer Beziehung sind noch immer die beiden wichtigsten Eigenschaften, die ich bei meiner Ehefrau sehr vermisse, Trost und Bewunderung. Da war ich all die Jahre unterversorgt!

Nun aber zu den Ereignissen! Vorab sei bemerkt, dass alles genauso passiert ist, wie es im Text steht. Wie ihr mich kennt, erzähle ich nur Geschichten, die eigentlich das Leben schreibt. Zugegeben, aus Lust an der Sprache schmücke ich manche Dinge ein wenig aus, damit das Geschehen nicht an Dynamik verliert. 😉

Wir waren heute bei der Gärtnerei, einen Großeinkauf machen. Unter anderem haben wir zwei Sack Gartenerde geholt, von denen jeder sechzig Liter fasst. Zu Hause angekommen klemme ich mir einen dieser Säcke unter den Arm, um ihn vom Fahrstuhl durch die Wohnung zur Terrasse zu tragen. „Sauschwer“, denke ich und stöhne noch ein wenig dazu. Mitten im Wohnzimmer kann ich den lässigen Eindruck nicht mehr durchhalten und muss auch mit der zweiten Hand zugreifen. Der Sack droht mir aus den Armen zu rutschen. Die Frage eurer Mutter „Soll ich dir helfen?“ weise ich mürrisch ab und sage stattdessen: „Hol mir die Waage!“

Darauf sie: „Die Waage? Wozu?“

„Wegen meiner Eitelkeit“, gifte ich.

Etwas verbindlicher fahre ich, mehr zu mir selber gewandt, fort: „Sechzig Kilogramm hat der Sack nicht! Ist ja kein Wasser drin, nur etwas feuchte Erde!“ „Ich schätze, so um die fünfundvierzig Kilo.“, presse ich um Atem ringend heraus, während eure Mutter die Waage vor mich hinstellt. „Könnte aber auch noch etwas mehr sein.“, ergänze ich und versuche dabei eine Kennermiene aufzusetzen.

Für einen Moment meine ich, einen winzigen Funken Respekt in der ansonsten verwunderten Miene meiner Frau festzustellen. Aber das war wahrscheinlich nur Einbildung von mir. Denn es kam noch viel dicker!

Um es kurz zu machen, der Sack mit der Gartenerde wiegt genau 27,7kg. Mein Atem hat sich zwar wieder etwas beruhigt, aber dennoch verschlägt es mir die Sprache. Mein Selbstbewusstsein rutscht mit Lichtgeschwindigkeit in den Keller.

Anstatt nun wie eine normale Ehefrau ihren geknickten Mann zu trösten, setzt meine Gattin nach und rottet die letzte in mir vorhandene Eitelkeit in einer Sekunde mit Stumpf und Stiel aus. Mit dem ersten Lächeln dieses Tages und einer verständnisvollen Gestik sagt sie zu mir:
„Gut, dass wir den Land Cruiser verkauft haben, Schatz. (Sie hat tatsächlich Schatz gesagt!) Das 42kg schwere Ersatzrad würdest du nicht mehr vom Dach kriegen!“

Ich fasle zwar noch etwas von „innerer Stärke“, die sie mir ja zugebilligt habe, aber es ist zu spät. Resolut packt sie mit an, und gemeinsam befördern wir den Sack Gartenerde von der Mitte unseres Wohnzimmers auf die Terrasse.

So, liebe Kinder. Eigentlich wollte ich zum Schluss dieser Geschichte um euer Mitleid bitten. Denn ihr Drei könnt mich ja erfahrungsgemäß immer wiederaufbauen. 🙂 Aber darauf verzichte ich jetzt großzügig und demonstriere euch lieber meine Lernfähigkeit, obwohl ich ja schließlich gegen die Neunzig gehe. 😉

Also, was sagt nun diese kleine Begebenheit aus?
Mich lehrt sie, dass wir zusammen noch immer stark sind.
Euch lehrt sie, dass ihr euch um eure Eltern keinen Kummer machen müsst, obwohl ihr so weit weg seid, denn gemeinsam bewältigen sie auch das kleinste Problem.

Herzlichst
Euer Vater